Überspringen zu Hauptinhalt

2015: Dr. Bettina Broxtermann

ES WERDE…


„Es werde…“ – in Gedanken ergänzen wir diese beiden Wörter ganz automatisch um das Wort „Licht“ und greifen damit auf die Schöpfungsgeschichte aus dem 1. Buch Moses des Alten Testaments zurück. Gemeinsam mit Erde, Wasser und Luft formt das Licht unseren Planeten und erhält Menschen, Pflanzen und Tiere am Leben. In übertragenem Sinn bedeutet Licht Erleuchtung, Einsicht und Erkenntnis. Als spirituelle Erfahrung findet sich die Erleuchtung in fast allen Religionen. Die Erkenntnis prägt richtungsweisende Epochen wie die Renaissance und die Aufklärung. Aus Erkenntnis wird Wissen, das uns zu dem macht, was wir heute sind.

Gerdi Gutperle führte in ihrer Jahresausstellung unter dem Motto „Es werde…“ großformatige Bilder in Mischtechnik und Keramiken in der Jahrtausende alten Pit-Fire-Technik, der ältesten Brenntechnik für Keramik, zusammen. Licht ist ein verbindendes Element in der Konzeption dieser Ausstellung.

Die Bilder der Künstlerin sind in ihrer Entstehung aufwendig. Ursprung sind eigene Ölbilder und Fotografien, die sie fotografiert und für die weitere Bearbeitung am Computer scannt. Das nun elektronische Bild wird durch eigene Fotos ergänzt. Schichten legen sich übereinander, werden gedreht, verfremdet und überarbeitet. Im nächsten Schritt werden die Bilder auf Leinwand gedruckt und auf Keilrahmen aufgezogen. Die nun folgende Übermalung setzt Akzente, führt das Auge an besondere Stellen im Bild, und transportiert Dinge oder einzelne Zonen in die Dreidimensionalität.

Mit der Realität, in der wir leben, haben die Bilder nichts gemeinsam. Wir erkennen Dinge wie Blumen, Bäume, Wassertropfen und Ausschnitte von Gebäuden. Das Bild „Lichte Weite“ führt uns durch ein gotisches Kirchenschiff auf die lichtdurchfluteten Maßwerkfenster des Chores zu und lenkt unsere Augen, der kunstvollen Wandkonstruktion des Bauwerks folgend, bis in die Höhe des Deckengewölbes. Von dort fließen aus einem imaginären Knoten bunte Bänder wie Lichtstrahlen auf uns zu. Herbstlich gefärbte Blätter und Hagebutten überdecken den unteren Bereich des Innenraumes, den Teil, in dem sich der Betrachter als Besucher der Kathedrale befinden würde. „Die Kathedrale ist kein in sich ruhender Bau, sondern ein Weg.“[1]. Als Abt Suger von St. Denis im 12. Jahrhundert mit dem Portal und dem Bau des Chores von St. Denis begann, erhöhte und öffnete er die Wände nicht aus ästhetischen Gesichtspunkten. Der Kathedralbau und seine einzelnen Elemente hatten durch die Öffnung für das Licht metaphorische Bedeutung. Licht verkörperte Christus, göttliche Wahrheit und Offenbarung. Genau dies vermittelt Gerdi Gutperle durch ihre Komposition und die Führung des Betrachters durch den Raum.

Vertiefen wir uns in die einzelnen Werke, schauen genau hin und versuchen zu ergründen, was wir dort sehen, fühlen wir uns an Meeresböden, kosmische Weiten, gleißende Wasser und verkrustete Erdformationen erinnert. Und immer wird alles durchdrungen von Licht, das sich in Strahlen, Lichtpunkten und kreisenden Wirbeln über die Flächen ergießt. Göttlicher Funke, Urknall, Entstehung von Leben – das ist es, was uns in den Sinn kommt. Dabei haben die Bilder nichts Gewaltsames, Lautes. Sie entwickeln einen eigentümlichen Sog und beim Betrachter den Wunsch, einzutauchen und eins zu werden mit diesen lichtdurchfluteten Welten, Traumwelten – göttlichen Welten. Im meditativen Versinken fühlt man sich der Schöpfung verbunden.

Gerdi Gutperle ist eine sehr gütige, mitfühlende und spirituelle Frau. Das Wohl der Menschen liegt ihr im besonderen Maße am Herzen und bewegt sie zu sozialem Engagement. Krieg, Tod, Verfolgung, grausame Hinrichtungen und Massenflucht berühren und bedrohen uns alle. Als Keramikerin schuf Gerdi Gutperle deshalb ihre Friedensbotschafter, die nach alter Tradition Liebe und Gerechtigkeit in die Welt tragen und uns daran erinnern sollen, in friedlichem Miteinander zu leben.

Die Friedensbotschafter sind blockartige, kubische Stelen, manchmal seitlich gebogen oder in sich gedreht, sehr zurückhaltend in der Formgebung. Ihre Präsenz erhalten die Plastiken durch ihre einzigartige Farbgebung, die durch die Pit-Fire-Technik erzielt wurde. In vielen Arbeitsgängen entstehen diese Werke. Der Rohling wird aus weißem, sehr schamotthaltigem Ton geformt, getrocknet und mit Glassteinen glatt poliert. Im Anschluss daran wird das Gefäß oder die Plastik mit unterschiedlichen Beigaben in Baumwolltücher gehüllt und in den handgemauerten Ofen gegeben. Ursprünglich waren diese Pit Fire Öfen einfache Gruben in der Erde. Gerdi Gutperle brennt in einem Ofen draußen im Freien, da sich durch die Beigabe von Salzen extreme Dämpfe entwickeln. Brennbare Materialien, wie Holz, Sägespäne oder – mehl, Metalle und sogar Seetang umgeben die Keramikpakete und füllen in Schichten den ganzen Ofen. All diese Beigaben ergeben während des zweitägigen Brands bei niedrigen Temperaturen von etwa 600° C die Glasur. Wenn alles abgekühlt ist, können die Teile entnommen, gereinigt und erneut poliert werden.

Die geduldige Arbeit lohnt sich. Auf Gerdi Gutperles Keramiken ist eine Explosion an Farben zu bewundern: von zartem Grau über stumpfes Schwarz und sanftem orange-rose bis zu einem kräftigen rot-orange. Die einzelnen Farben spielen miteinander. Farbwolken, Nebel, Sprenkel, Flecken, feine Linien – alles liegt neben und übereinander. Es gibt keine Grenzen oder scharfe Kanten, alles ist im Fluss und in Bewegung. Die Oberflächen präsentieren sich in großer Lebendigkeit und Ausdrucksstärke.

Die kleineren Skulpturen in verschiedenen Größen sieht die Künstlerin als Mittler zwischen den Friedensbotschaftern und den Menschen. Ihre Formen sind unregelmäßig, mit Kuhlen und Beulen, aber keinen scharfen Kanten. Sie fügen sich in die Hand, wollen gehalten und gefühlt werden. Obwohl ebenfalls durch die Pit-Fire-Technik entstanden, ist ihre Färbung gleichmäßiger, von zart bis stark und kräftig im Ausdruck. Eine Vielfalt in den Farbnuancen können wir hier bestaunen.

Denken wir nun an die Bilder zurück, kann man sogar eine Verbindung zwischen ihnen und den Keramiken erkennen. Die Farben sind in beiden Medien lebendig, nicht statisch oder scharf abgegrenzt sondern fließend, transparent und sich überlagernd. Göttlicher Funke, Urknall, Entstehung von Leben waren die Assoziationen, die die Bilder von Gerdi Gutperle auslösten und die wir bei den Keramiken wieder erleben.

„Es werde…“ lässt jedem Betrachter Raum für Ideen und den Spielraum, seine eigenen Wünsche, Hoffnungen und Erwartungen zu entwickeln.

Dr. Bettina Broxtermann, November 2015 [1] Wilhelm Rüdiger, Die gotische Kathedrale. Architektur und Bedeutung, Köln 1979

An den Anfang scrollen