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2022 GERDI GUTPERLE Jahresausstellung

WELTENGEDÄCHTNIS


BILDER AUS DEM BUCH DES LEBENS

WELTENGEDÄCHTNIS – ein Begriff, bei dem es sich lohnt, zunächst seinen zwei Wort-Bestandteilen Beachtung zu schenken. Zum einen „Welten“ als eine Art Überbegriff dessen deutbar, was an Leben und Zusammenhängen vorstellbar ist, zum anderen „Gedächtnis“ als Fähigkeit, aufgenommene Sinneswahrnehmungen und Bewusstseinsinhalte zu bewahren, sodass sie immer wieder abgerufen werden können, immer da sind, unvergänglich bleiben. Um ebendieses unvergängliche Existieren im Gesamtzusammenhang, im Großen Ganzen, geht es bei der beeindruckenden Sammlung neuer Arbeiten Gerdi Gutperles im Jahr 2022.

Neu denken, Achtsamkeit und Begeisterung zugleich strahlen die fein komponierten Werke in herrlicher Orchestrierung als Ausstellungserlebnis aus, wie gewohnt dem hohen Anspruch großer Vielfalt und unterschiedlichster Ausprägung genügend, allesamt aus geheimnisvoller Quelle schöpfend, aus einer Tiefe heraus wirkend auf ihre Betrachter und Sammler. Die Arbeiten laden ein in neue Ebenen, Gedankenwelten und Dimensionen. Johann Wolfgang von Goethe sagte einmal: „Alles Gescheite ist schon gedacht worden, man muss nur versuchen, es noch einmal zu denken“.
Geht man diesen Gedanken konsequent einen Schritt weiter, löst ihn aus den Vorstellungen des reinen „Hier und Jetzt“, wird unweigerlich ein Ansatz für möglich erachtet, der vermutlich schon Jahrtausende besteht. So existiert in der modernen anglo-indischen Theosophie und in der Anthroposophie die Vorstellung von einem übersinnlichen „Buch des Lebens“, das in immaterieller Form ein allumfassendes Weltgedächtnis enthält, die Akasha-Chronik.

Akasha, ein Begriff aus dem Sanskrit, steht für Himmel, Äther oder Raum, bezeichnet neben den Elementen Wasser, Feuer, Erde, Licht ein weiteres, das fünfte Element oder Feld. Einen ersten faszinierenden Zugang zu dieser universellen Weltengedächtnisvorstellung ermöglicht Gerdi Gutperle mit dem Großformat „WELTENGEDÄCHTNIS 2“. Kräftige Farbkontraste, ein klar konturierter, geheimnisvoll perfekter Berg, wunderschön zart und doch in sich ruhend, dominiert im oberen Bildteil. Vom unteren Bildteil strömt ein Leuchten, das weitaus mehr ist als Farbreflexe, getragen von einer rätselhaften surrealen Form mit Zügen eines Gesichtes, deren Farbigkeit wiederum die des Berghintergrundes aufgreift und so eine Parallelität der Welten und deren Gedächtnissphären vielleicht andeutet? Nichts geht vergessen. Jeder Gedanke, der einmal gedacht wurde, bleibt. Wir sehen zwei Bildebenen verbunden mit einer kühnen orangefarbenen Linie – ein Gedankenweg, der universell parallele oder vergangene Zeiten und Welten verbindet? Konstruktivistische Elemente in Verbindung mit dem charakteristischen Wellenlinienschwung der Gerdi Gutperle versetzen den Betrachter in Spannung und wecken sein Erkundungs- und Vertiefungsinteresse. Kontemplation setzt ein, wenn der Geist die Vielschichtigkeit akzeptiert. Er ahnt, er versteht.

„IN NEUE RÄUME SCHREITEN“ – eine eindrucksvolle Arbeit über Zusammenhang, fließenden Zusammenhalt und Entwicklung in den vielschichtigen Ebenen, Wesen und Farben des Lebens, der Welt. Einmal mehr gelingt es Gerdi Gutperle, sich künstlerisch neu auszudrücken in einer kraftvollen Formensprache, einem Neokubismus, mit amorphen Formen, orchestriert und komponiert in vollendeter Harmonie. Ein geschwungener heller Weg als Verbindung, ein flieder-steinfarben gewobenes Feld der Ruhe, des Haltes. Meere und Horizonte verschmelzen, viele Schichten und Welten existieren nebeneinander, miteinander. In klarer Struktur berühren sich violettfarbenblaue Denkformen mit orangegelber Intuition, erzielen mit einem grünen Farbfeld Spannung in der ausgewogenen Gesamtkomposition.

Ein ausdrucksstarkes abstraktes Ölgemälde, das geistige und intuitive Impulse immer wieder neu anregt. Picasso, dessen Aussage „Ich suche nicht, ich finde“ zu passen scheint zu dieser Weltensicht und zum einzigartigen Moment ihrer Wahrnehmung. Der Traum der Zeitreise ist im Menschsein tief verwurzelt. Über die Existenz der Akasha-Chroniken wird in nahezu allen Kulturen gesprochen, oft unter einem anderen Titel. Die Welten-Chroniken sind keiner Religion zuzuordnen, dennoch finden sie in vielen heiligen Texten als Verweise oder Umschreibungen Eingang, wie in der christlichen Bibel, der hebräischen Bibel Tanakh, dem Koran und dem Buddhismus.

Mittlerweile weiß die Wissenschaft, dass Menschen durchaus in der Lage sein können, sich allein kraft ihres Bewusstseins durch die „Windungen“ der Zeit zu bewegen, Schichten der Existenz zu durchdringen, Forscher und Pioniere des Unsichtbaren berichten davon. Auch die Wirtschaft versucht mittels dieses Wissenschafts-Feldes schon im Jetzt nachhaltige Zukunft zu gestalten, so hat der Club-of-Rome-Mitgründer und Systemtheoretiker Ervin Laszlo in seinen Veröffentlichungen reale und lebendige Erfahrungen mit dem Akasha-Feld von Wissenschaftlern, Psychologen oder Managern aus den Tiefen der Zeit dokumentiert. Auf ihre ganz besondere Weise scheint Gerdi Gutperle den Wissenschaftlern und Forschern dieser Untersuchungen und Wahrnehmungen nah und verbunden mit ihrer Kunst. 

Sie drückt das universelle Ur-Wissen und Welten-Ahnen, das kollektive Bewusstsein in Bildern und Skulpturen aus, die dem Betrachter geradewegs entgegengehen. Die Vielschichtigkeit des Lebens und auch der Zeit in ihrer Ganzheit und somit das Weltengedächtnis wird ahn- und spürbar. Von der künstlerischen Bearbeitung der Welt, den Welten, führt Gerdi Gutperle in ihren Skulpturen 2022 immer wieder zurück auch zu Perspektive und Darstellung des Individuums selbst.

Betrachten wir die Skulptur „LEBENSSÄULE“, die vielleicht für den Menschen selbst und sein Werden steht, vier übereinanderliegende Polygone reduziert und doch als Einheit erkennbar, wobei allein durch die Zahl vier und deren Symbolik – bewusst oder unbewusst – ein verbindend-übergeordneter universeller Zusammenhang gesetzt wird – denken wir an die vier Himmelsrichtungen, vier Winde, vier Jahreszeiten oder die vier Phasen des Mondes.

Auch die Skulptur „ZWILLINGE“ stellt den Menschen in den Mittelpunkt der künstlerischen Betrachtung, interessanterweise mit seinem eins werdenden Gegenüber aus demselben Ursprung. Feinst gearbeitete Keramik in einem Türkis, das an Meere und Weiten denken lässt. Nähe. Miteinander. Halt. Immer wieder neu, und doch schon immer da.

Die verschiedenen Materialien und Formensprachen sind auch im Jahr 2022 exquisit und so komponiert, dass jeder Betrachter „sein Werk“ entdecken kann. „Welche Arbeit ist Ihr persönlicher Favorit?“ – so mögen sich die Besucher austauschen und gegenseitig auf Neues hinweisen.
Die Arbeiten lassen allesamt Raum für ganz persönliche Geschichten, eine Wanderung zu sich selbst und dem ureigenen Erleben und auch zu der Vielfalt des übergeordneten Bilderbuchs des Lebens.

Furiose Farbplatzierung, Farbverläufe und architektonische Raumschichten bedingen ein Erleben von Geschwindigkeit und Bewegung hin zum lichthellen Raum in der Arbeit „WELTENGEDÄCHTNIS 3“, in Mixed Media Materialität ebenso wie in der Arbeit „UNBEGRENZT“, bei der wir ob der Farbigkeit an Galaxien und Lichtgeschwindigkeit in ihrer unnachahmlich gekonnt  platzierten Spektrallinienfarbigkeit denken mögen, ob der Architektur an ferne Welten, und unmittelbar eingehüllt und mitgenommen werden auf die rasante Reise. Erinnerungen an Zeitsprünge, in Zeitlupe oder Zeitraffer erlebte Sequenzen aus Träumen werden in beiden Arbeiten lebendig, machen die Vorstellung der Größe und Vernetztheit sichtbar – Stürme des Lebens und der Welt und auch ihre Verletzlichkeit.

Nimm Abschied, Herz vom allzu Vergänglichen, begib Dich auf Deine ganz eigene Suche – kein Widerspruch zum „LEBE JETZT“ – drückt Gerdi Gutperle in ihren Arbeiten aus und ist selbst wunderbare Referenz in ihrer herzlichen Lebendigkeit. Die Künstlerin wendet sich stets dem Hellen, Hohen zu, macht sichtbar, in der Kunst und auch im Leben. Sie ist eine Lichtgestalt, als Künstlerin, als mit dem „Orden des Lächelns“ Bedachte – eine Würdigung für Persönlichkeiten wie Nelson Mandela, Mutter Teresa, dem Dalai-Lama – und auch als Trägerin des Bundesverdienstkreuzes – vor allem als Mensch, dem Gutes Tun und Hoffnung geben allgegenwärtiger Lebensinhalt ist. „Dankbarkeit ist das Gedächtnis des Herzens“ – so Jean-Baptiste Massillon, französischer Prediger, Theologe und Bischof. Und Wertschätzung. Werte, die Bestand haben, Werte, die tragen.

Aus Gerdi Gutperles leichten Kompositionen flüstert pralles Hier und Jetzt Hand in Hand mit dem Wissen um Zeit, Nichtraumzeit, Verbundensein. So bietet uns die Künstlerin Einblicke in das universelle Weltengedächtnis, bei dem die metaphysische Erfahrung der Raum-Zeit-Dimension die Tür zum Göttlichen in uns selbst weit öffnet.

Die Keramik „LIEBE“ ist von vollendeter androgyner Schönheit, beinahe überirdisch erinnert sie das Wesentliche. Immer wieder gilt es, Liebe zu schicken und den anderen zu sehen, zu erkennen, mögen die äußeren Umstände und die Weltenlage noch so ausweglos scheinen – auch dies eine Saite des Weltengedächtnis. Eine fundamental wichtige in diesen Tagen. Gerdi Gutperle ist seit Jahren aktive Botschafterin dieser Haltung und des damit verbundenen Handelns.

„AKASHA – LEBE JETZT“ – eine der beeindruckendsten Interpretationen des Jahres 2022 und auch als Leitmotiv für uns alle gedacht. Ein Leitmotiv, das keineswegs wegsieht bei allem, was geschieht, aber eines, das uns Kraft gibt, uns trägt, auf dass wir andere tragen können. Eine prächtige surreale lilienartige Schöpfung, zarte Farbigkeit, zarte Struktur, ein Bildnis von Entfaltung, Erdung, Licht, Hoffnung und Ruhen auf einem gelben Teppich und auf blauen Meeren. Seelenlandschaft ohne Grenze, eingebunden in ewige Zeiten.

Text: Cristina Streckfuß, Kuratorin und Kommunikationsexpertin

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