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2006: Dr. Bärbel Kopplin

2006, „Farben des Lichts“, Dr. Bärbel Kopplin

Eine Welt im Gleichgewicht
Farbe und Raum in den Bildern von Gerdi Gutperle

 
»Es gibt immer ruhende Energien zu entdecken« – dieser Satz von Joseph Beuys könnte wie eine Headline über dem Werk von Gerdi Gutperle stehen. Vor etwa acht Jahren hat Gerdi Gutperle ihre künstlerischen Energien freigelegt und arbeitet seitdem mit großer Passion als Malerin. Trotz einer soliden Ausbildung in allen maltechnischen Belangen ist sie eigentlich Autodidaktin. Autodidaktin vor allem in dem Sinn, dass hier jemand seiner eigenen Idee, ja seiner inneren Vision folgt. Die Künstlerin selber vergleicht ihren Produktionsprozess mit dem »Sprudeln einer Quelle«. In der Tat hat die Künstlerin mit unermüdlicher Schaffenskraft in kurzer Zeit ein äußert vielgestaltiges und überraschend umfangreiches Werk geschaffen. Wer das Atelier der Künstlerin betritt, begreift sofort, dass hier mit Leidenschaft gearbeitet wird.

Stets arbeitet Gutperle an mehreren Arbeiten gleichzeitig, prüft kritisch, vergleicht und entwickelt ihren Stil weiter. Scheinbar einfache Motive haben es der Künstlerin in ihren frühen Arbeiten angetan: Blumen, Stillleben, manchmal auch Tiere und Menschen. Vor allem die Blumen entfalten ein Eigenleben. Großflächig, ornamental, erotisch in der Ausstrahlung, geheimnisvoll, schlagen die Motive den Betrachter in ihren Bann. Man bewegt sich rasch in einer eigenen Welt, wenn man in die Malerei der Gerdi Gutperle eintaucht. Menschen treten dem Betrachter aus den Farbschichten fast schwebend entgegen. Sie scheinen sich dort mit der Leichtigkeit eines Kosmonauten zu bewegen. Fließen, loslassen und doch eingebunden sein in einen kosmischen Strom – das sind Gedanken, die sich einem bei der Betrachtung der Bilder unwillkürlich aufdrängen. Und so wirkt es wie eine konsequente Fortentwicklung und nicht wie etwas Neues, wenn Gutperle seit einiger Zeit den Weg in die Abstraktion eingeschlagen hat. Aus den gegenständlichen Bildern schälen sich immer mehr abstrakte Formationen heraus. Immer noch gibt es Assoziationen an Florales oder andere Formen, aber es kommt etwas Neues hinzu. Eine stärkere Dynamik kennzeichnet jene Bilder des Umbruchs, freie Linien schweben durch den Bildraum, manche Bilder bekommen etwas Labyrinthisches. Bis sich schließlich völlig abstrakte Bildwelten auftun. Gerdi Gutperle arbeitet auch in ihren neuen, abstrakten Bildern stets seriell. Mit derselben suchenden Sorgfalt und immensen Variationsbreite entwickelt sie nicht nur einen neuen Stil, sondern verändert zugleich auch ihre Technik.

Schon in früheren Arbeiten hat Gutperle Fotografie und Computertechnik in ihre Kunst mit einbezogen. In Ihren übermalten Collagen sind die erzählerischen Ausgangspunkte die selbstgemachten Fotografien, die zumeist auf Reisen entstanden sind. Sie geben den Bildern die erste Struktur, um dann in einem malerischen Prozess immer wieder überarbeitet zu werden. Hier setzt die emotionale Bildfindung ein. Es glüht einem Afrika oder Indien entgegen. Es tauchen Gesichter von Kindern auf und wieder unter.

In jüngster Zeit hat die Künstlerin diesen Weg in die Abstraktion und das Spiel mit den technischen Möglichkeiten weiter vorangetrieben. Ihre neuesten Bildschöpfungen überraschen zunächst durch ihre hohe Abstraktion. Farbige Strukturen stehen dem Betrachter wie Kraftfelder gegenüber. In einer von der Künstlerin speziell entwickelten Paint-Print-Paint-Technik entwickelt sich ein Bild aus dem Anderen. Vorangegangene Bildfindungen werden zum »Muster« für ihre Nachfolger. Diese werden dann im malerischen Prozess zu einer völlig neuem Form- und Farbzusammenspiel umgestaltet. Eine Arbeit scheint aus der anderen herauszuwachsen und doch ist jedes Bild eine eigenständige Schöpfung oder besser gesagt – ein eigenständiges »Geschöpf«. Stehen diese Abstraktionen zunächst recht unvermittelt dem frühen figurativen Werk gegenüber, begreift man doch bei näherer Betrachtung den Zusammenhang. Die Künstlerin geht einen Schritt mehr in die Tiefe. Von der Natur zur Struktur, die ja implizit immer Teil des Systems ist. Nicht was man sieht, sondern das, was man fühlt, ist Ziel der künstlerischen Untersuchung. Und mit der Gründlichkeit eines Naturwissenschaftlers lotet die Malerin hier alle Möglichkeiten und Variationen aus. Helle, warme Formen, stehen kühlen, wasserblauen Strukturen gegenüber. Kalte Farbbänder verschlingen sich zu einem endlosen Strudel mit glühend roten Linien. Farbspiralen erschließen den Raum und scheinen sich in der unendlichen Tiefe zu verlieren. Jedes Bild ist ein Energiefeld, voller Spannung, aber auch voller Poesie. Auch wenn die Künstlerin am Computer arbeitet und dort Formen generiert, so dient die malerische Überarbeitung doch immer zur Korrektur und zur vertieften Gestaltung des emotionalen Anliegens. Die Perfektion wird gebrochen. Und den Assoziationen ist freien Lauf gegeben. Wirken auf den einen die ineinander verschlungen Formen wie die Strukturen aufgeschnittener Edelsteine, denkt der nächste an kosmische Nebel oder mikroskopische Feinstrukturen. In jedem Fall reißt die Dynamik den Betrachter in die Tiefe der Bildwelt. Es ist eine Reise in die Farbe und in die Emotion.

Fast alle Bilder von Gerdi Gutperle tragen poetische Titel: »Stille«, »Raumzeitflug«, »Inneres Gleichgewicht« oder »Innenschau«. Die Titel geben einen Hinweis auf die weiterreichende gedanklich-philosophische Dimension, um der es Gutperle in ihren Bildern geht. Aus einer »Inneren Mitte« geschaffen, wollen die Bilder von Gerdi Gutperle Anstoß zum Gedankenflug, zur Meditation geben und zugleich auch wieder zurückführen in das eigene Ich.

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